Herausforderungen bei der Inhaltsanalyse von nutzergenerierten Inhalten

Call for Papers für ein Themenheft in der Publizistik

Gast-Herausgeberin und -Herausgeber: Teresa K. Naab & Jakob Jünger

 

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Die Inhaltsanalyse ist eine genuine Methode der Kommunikationswissenschaft und eng mit der Entwicklung des Fachs, der Medien und der Gesellschaft verbunden (vgl. Brosius et al. 2016, S. 137; Krippendorff 2013, S. 10-23; Merten 1995, S. 35-47). So sind in den letzten beiden Jahrzehnten, einhergehend mit sozio-technischen Innovationen in der Online-Kommunikation, nutzergenerierte Inhalte zu einem zentralen Gegenstand des Fachs und Arbeitsfeld der inhaltsanalytischen Kommunikationsforschung geworden.

Nutzergenerierte Inhalte im Sinne des geplanten Themenhefts umfassen jede Form der Kommunikation, die nicht von Betreibern eines (Online-)Angebots selbst erstellt wird (vgl. Figallo und Rhine 2001; Schweiger und Quiring 2007, S. 101). Sie schließen damit insbesondere Kommunikate nicht organisierter oder nicht professionalisierter Akteure ein, die an einen professionell erstellen Medienbeitrag angebunden sein können (z. B. Anschlusskommunikation an journalistische Produkte in Kommentarspalten) oder für sich stehen. Sie umfassen aber auch Kommunikate professioneller Medienakteure, die auf die technischen und organisatorischen Vermittlungsmechanismen anderer Betreiber zurückgreifen, um Inhalte zu verbreiten (z. B. Nachrichten-Seiten auf sozialen Netzwerk-Seiten). Dieses weite Verständnis von nutzergenerierten Inhalten berücksichtigt, dass die Grenzen zwischen professionellen und nicht professionellen Akteuren fließend sind und sich einerseits Nutzerinnen und Nutzer professionalisieren (z. B. „Influencer“) und andererseits professionelle Akteure in der Rolle als Nutzer von Plattformen auftreten können.

Diesen unterschiedlichen Nutzertypen stehen vielfältige Ausdrucksformen zur Verfügung. Sie reichen von textlichen Mitteilungen über bildliche und audiovisuelle Inhalte bis hin zu Social Buttons, die aggregierte Reichweite (z. B. View Counts), Bewertungen (z. B. Likes), standardisierte Gefühlsausdrücke (z. B. Love) oder weitere, mehr oder weniger standardisierte Einschätzungen der Nutzerschaft indizieren. Die Interpretation dieser Ausdrucksformen stellt nicht nur die Beteiligten im computervermittelten Kommunikationsprozess auf die Probe, sondern auch die inhaltsanalytisch Forschenden. Zudem fordert die Kontextualisierung der nutzergenerierten Kommunikation die Forschung heraus. Denn Nutzer-Inhalt-Interaktionen und Nutzer-Nutzer-Interaktionen (vgl. Ksiazek et al. 2016) fügen sich zu dynamischen Kommunikationsverläufen zusammen und einzelne Mitteilungen können unter Umständen nicht mehr getrennt voneinander analysiert werden. Der Prozess der Datenerhebung ist anspruchsvoll, wenn aussagekräftige Stichproben gezogen werden sollen. Denn verfügbare Daten sind abhängig vom Erhebungszeitpunkt und den Zugangsmöglichkeiten zur jeweiligen Plattform. Gleichzeitig ist bei nutzergenerierten Inhalten eine Vermischung von Nutzerverhalten und Plattformmechanismen zu beobachten, das heißt die Verbreitung von Beiträgen wird algorithmisch und organisatorisch kuratiert (vgl. Couldry und Hepp 2017, S. 131).

Vor diesem Hintergrund widmet sich das Themenheft der Frage, welche Herausforderungen sich aus nutzergenerierten Inhalten für Inhaltsanalysen ergeben und wie man diesen begegnen kann. Im Themenheft finden Beiträge zu allen Arbeitsschritten der Inhaltsanalyse Platz:

Herausforderungen bei der Sammlung von nutzergeneriertem Material

  • Wie kann mit technischen und organisatorischen Zugangsbeschränkungen (z. B. Ratenbegrenzungen bei APIs, passwortgeschützte Webseiten, Bezahlzugänge, Notwendigkeit zu Kooperationen mit Betreibern) umgegangen werden?
  • Welche Strategien für die Sammlung von nutzergeneriertem Material (z. B. manuell oder automatisiert) eignen sich für welche Forschungsinteressen?
  • An welchen Stellen entstehen im Prozess der Materialsammlung Verzerrungen, welchen Einfluss haben diese auf die Ergebnisse, und wie können sie korrigiert werden?

Herausforderungen bei der Aufbereitung und Kodierung von nutzergeneriertem Material

  • Wie können Inhaltsanalysen mit der Vielzahl von textlichen, bildlichen und audiovisuellen Ausdrucksformen, den standardisierten und unstandardisierten Inhalten umgehen?
  • Wie kann mit sprachlichen Besonderheiten (konzeptionell-mündliche Sprache, Verkürzungen, Umgangssprache, Emoticons, gruppenspezifische Sprachstile, Ironie) umgegangen werden?
  • Wie kann die Bedeutung von Likes und anderen Reaktionen auf individueller und auf aggregierter Ebene erschlossen werden?
  • Welche spezifischen Herausforderungen ergeben sich für die Reliabilität und die Validität bei der Kodierung von Kommentaren und anderen nutzergenerierten Inhalten?
  • Unter welchen Voraussetzungen und bei welchen Erkenntniszielen eignen sich automatisierte Verfahren (überwachtes oder unüberwachtes maschinelles Lernen) für die Kodierung nutzergenerierter Inhalte?
  • Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Erstellung und Aufbereitung (Annotation) von Referenzkorpora und Trainingsmaterial für automatisierte Verfahren?

Herausforderungen bei der Datenanalyse von nutzergenerierten Inhalten

  • Wie kann die Dynamik von Interaktionen erfasst werden, und welche Auswertungsverfahren sind dafür geeignet?
  • Wie lassen sich aus nutzergenerierten Daten Netzwerkstrukturen rekonstruieren?
  • Wie lassen sich die verschiedenen Analyseebenen aufeinander beziehen (z. B. ganze Diskussionsverläufe, zusammenhängende Interaktionen, Nutzerinnen und Nutzer, einzelne Beiträge)?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich für die Analyse aus den Charakteristika von Plattformen und Algorithmen?
  • Wie können organisatorische Einflüsse der Betreiber, das Verhalten der Mitteilenden und Rezipierenden differenziert und aufeinander bezogen werden?
  • Welche Problem ergeben sich bei der Kombination qualitativer und quantitativer Herangehensweise und wie können diese gelöst werden?

Herausforderungen bei der Vorbereitung und beim Berichten von Analysen nutzergenerierter Inhalte

  • Welche ethischen Herausforderungen bringt die Analyse nutzergenerierter Daten auf verschiedenen Stufen des Forschungsprozesses mit sich?
  • Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen bei der Publikation nutzergenerierter Inhalte bedacht werden (z. B. Datenschutz, Urheberrecht)?
  • Welche Anforderungen müssen an eine transparente Darstellung der Vorgehensweise inhaltsanalytischer Untersuchungen gestellt werden?
  • Wie kann Replizierbarkeit sichergestellt werden?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich für die Methodenausbildung im Fach?

Das Themenheft versteht sich als Handreichung für alle, die Inhaltsanalysen von nutzergenerierten Daten planen, durchführen oder auswerten. Die Beiträge dürfen gerne an konkrete empirische Erfahrungen angebunden sein und über spezifische Lösungsansätze informieren. Es ist jedoch gewünscht, dass die Beiträge von konkreten Einzelfällen abstrahieren und damit eine konzeptuelle Einordnung vornehmen, die hilft, die grundsätzlichen Herausforderungen der Analyse von nutzergenerierten Daten zu verstehen oder weitere spezifische Studien zu konzipieren. In Frage kommen deshalb vorrangig Manuskripte, in denen die Besonderheiten von nutzergenerierten Daten im Vordergrund stehen oder die diese mit anderen Daten vergleichen.

Format der Einreichungen

Kolleginnen und Kollegen, die einen Beitrag zu diesem Themenheft einreichen möchten, werden gebeten, bis zum 30. Oktober 2019 ihre vollständigen Manuskripte im Originalformat und im PDF-Format an die Redaktion der Publizistik zu senden: gunter.reus@hmtmhannover.de. Darüber hinaus schicken Sie bitte sieben Ausdrucke Ihres Manuskriptes an: Prof. Dr. Gunter Reus, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Expo Plaza 12, 30539 Hannover, Deutschland.

Eingereicht werden können Beiträge in deutscher und englischer Sprache. Sie sollen den Umfang von 52.500 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Quellenverzeichnis) nicht überschreiten. Bei der Einreichung ist auf eine vollständige Anonymisierung der Beiträge zu achten. Ferner gelten die Autorenhinweise und Richtlinien der Publizistik zur Zitation (Zitationsstil „Springer-APA“) und Manuskriptgestaltung: https://www.springer.com/social+sciences/journal/11616

Über die Annahme der Manuskripte wird nach einem Double blind peer review-Verfahren entschieden. Die Autorinnen und Autoren der eingereichten Manuskripte erhalten voraussichtlich Mitte Januar 2020 Rückmeldung über das Ergebnis des Begutachtungsprozesses. Sofern die Gutachterinnen und Gutachter eine Überarbeitung des
Manuskripts empfehlen, werden die Autorinnen und Autor gebeten, voraussichtlich bis Mitte Februar eine überarbeitete Fassung einzureichen. Das Themenheft wird voraussichtlich im Mai 2020 erscheinen.

Literatur
Brosius, H.-B., Haas, A., & Koschel, F. (2016). Methoden der empirischen Kommunikationsforschung: Eine Einführung (7., überarb. u. aktual. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Couldry, N., & Hepp, A. (2017). The mediated construction of reality. Cambridge, MA: Polity.

Figallo, C., & Rhine, N. (2001). Tapping the grapevine. User-generated content. E-Content: the magazine of electronic research & resources, 24(3), S. 38–43.

Krippendorff, K. (2013). Content analysis: An introduction to its methodology (3. Aufl.). Los Angeles: Sage.

Ksiazek, T. B., Peer, L., & Lessard, K. (2016). User engagement with online news: Conceptualizing interactivity and exploring the relationship between online news videos and user comments. New Media & Society, 18, 502–520.

Merten, K. (1995). Inhaltsanalyse: Einführung in Theorie, Methode und Praxis (2., verbesserte Aufl.). Wiesbaden: Springer.

Schweiger, W., & Quiring, O. (2007). User-Generated Content auf massenmedialen Websites. Eine Spielart der Interaktivität oder etwas völlig anderes? In M. Friedrichsen, W. Mühl-Benninghaus, & W. Schweiger (Hrsg.): Neue Technik, neue Medien, neue Gesellschaft? Ökonomische Herausforderungen der Onlinekommunikation (S. 97–120). München: Fischer.