Ministerinnen und Parlamente - Eine vergleichende Analyse der Rolle des Geschlechts für parlamentarische Kontrolle

Ministerinnen werden in ihrer Laufbahn trotz zunehmender Präsenz von Frauen in der Politik immer noch diskriminiert. Ihre Chancen, Ministerien zu leiten, beschränken sich beispielsweise oft auf Ressorts mit geringem Einfluss und Prestige, die nur begrenzte finanzielle Ressourcen und wenig Aufmerksamkeit in den Medien erhalten. Setzt sich diese systematische Benachteiligung in der alltäglichen Arbeit als Ministerin fort? Parlamentarier*innen haben die Verantwortung und das Privileg, die Exekutive für ihre Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen, indem sie ihr Recht auf legislative Kontrolle ausüben. Wenn die Gesetzgeber diese Funktion bei einem Mann strenger ausüben als bei einer Frau, entstehen für letztere zusätzliche Kosten, die die Männer nicht zu tragen haben. Die Frauen müssten mehr Zeit in rechenschaftspflichtige statt in gestalterische Aufgaben investieren und riskieren einen Verlust an Ansehen und Vertrauenswürdigkeit, was ihre Chancen auf die Durchsetzung politischer Vorhaben sowie auf eine künftige Beförderung in höhere Ämter schmälert.

Das Ziel dieses Projekts ist es, die Kontrolle der Gesetzgebung aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive zu beleuchten, indem die folgenden Fragen beantwortet: Wie wirkt sich das Geschlecht der Minister*innen auf die gesetzgeberische Aufsichtstätigkeit der Abgeordneten aus? Überwachen Abgeordnete Ministerinnen anders als Minister? Und wenn ja, in welchem Ausmaß, warum und unter welchen Bedingungen ist dies der Fall?

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, wird im Rahmen des Forschungsprojekts die parlamentarische Kontrolle in sechs europäischen Demokratien nach 1945 untersucht und zwar in Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Spanien und Großbritannien. Um die Auswirkung des Geschlechts der Minister*innen auf die Kontrolltätigkeit der Abgeordneten zu untersuchen, konzentrieren wir us auf die Fälle, in denen ein Regierungsmitglied innerhalb eines bestimmten Kabinetts durch ein Mitglied des anderen Geschlechts ersetzt wurde. Dieser innovative Ansatz hat den Vorteil, dass viele Faktoren, die die Kontrolltätigkeit der Abgeordneten beeinflussen, wie z. B. ihr großes Interesse an dem Politikbereich während einer bestimmten Wahlperiode, die Zusammensetzung des Kabinetts oder die Parteizugehörigkeit der Minister*innen, unverändert bleiben.

Durch die Untersuchung der schriftlichen und mündlichen Anfragen von Abgeordneten wird die Intensität und Qualität der Kontrolltätigkeit sichtbar. Außerdem werden im Rahmen des Projekts sechs Fallstudien zu Minister*innenwechseln durchgeführt, die je 15 Leitfaden-Interviews mit Abgeordneten beinhalten, um 1) informelle Praktiken der parlamentarischen Kontrolle zu identifizieren und 2) Rechtfertigung der veränderten Überwachungstätigkeit und Verständnis von Idealvorstellungen bzgl. der Minister*in zu erfassen.

Die Erkenntnisse des Forschungsprojekts ergänzen bestehende Forschung um verschiedene innovative Elemente. Zum einen wird eine geschlechtsspezifische Perspektive auf die Prozesse der parlamentarischen Kontrolle eingeführt und durch den Einbezug der/des Ministers*in zum besseren Verständnis von Gesetzgebungsaufsicht beigetragen. Es wird deutlich, dass neben institutionellem Kontext und Eigenschaften der Abgeordneten auch die Eigenschaften der/des Ministers*in eine Rolle spielen. Zum anderen wird ein Beitrag zur Forschung bezüglich der Effektivität von Frauen in politischen Ämtern geleistet mit dem Potential, Erklärungen für die geringe Fähigkeit von politischen Akteurinnen politische Ergebnisse im weiteren Sinne durch das Sichtbarmachen fortbestehender Hindernisse zu verändern.

Projektteam

Projektleiterin:
Prof. Dr. Corinna Kröber

Wissenschaftliche Mitarbeiterin:
Lena Stephan

Studentische Hilfskraft:
Lena Elsa Dröse

Projektdauer:
2022-2024

Förderung:
Fritz Thyssen Stiftung

Kontakt

Prof. Dr. Corinna Kröber
Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft
Juniorprofessur für Vergleichende Politikwissenschaft
corinna.kroeberuni-greifswaldde