Politik des ländlichen Raums: Gestaltungsmöglichkeiten und Gestaltungswillen am Beispiel der Agrarpolitik

Förderung: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Projektzeitraum: 2017-2020

 

Kurzfassung

Ländliche Räume sind für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung. Hier entscheidet sich, ob und inwieweit die Politik die in Artikel 72 des Grundgesetzes formulierten „gleichwertigen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ herstellen kann. Hier zeigt sich, ob die etablierten Parteien flächendeckend als Mittlerinnen zwischen Gesellschaft und Staat aktiv sein können. Und hier ist zu sehen, auf welchen Wegen die Gesellschaft sich zukünftig ernähren möchte und wird.

Ziel des Projekts ist es, die Verbindung zwischen den Herausforderungen des ländlichen Raums und staatlichem Handeln nachzuzeichnen. Dies soll entlang von zwei Teilfragen geschehen. Zum einen soll untersucht werden, unter welchen Bedingungen sich bei politischen Akteuren – Parteien, Abgeordnete, Regierungen – bestimmte Sichtweisen auf den ländlichen Raum durchsetzen. Zum anderen sollen Faktoren identifiziert werden, die die Entscheidung für einzelne Lösungsstrategien determinieren. Beides soll anhand der Agrarpolitik in den deutschen Bundesländern herausgearbeitet werden.

Hintergrund

Seit Ende der 1990er Jahre erweiterten verschiedene Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU die Spielräume der Nationalstaaten. Dies geschah insbesondere durch die Stärkung der sogenannten „Zweiten Säule“ der GAP zur Entwicklung des ländlichen Raums. Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland erfuhren so auch die Bundesländer einen agrarpolitischen Bedeutungszuwachs, der sich in einer ausgesprochen heterogenen Ausgestaltung der regionalen Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum widerspiegelt. So eröffnet sich Raum und Bedarf für wirtschafts- und sozialwissenschaftliche vergleichende Analysen auf der Ebene der deutschen Bundesländer. Während jedoch insbesondere agrarökonomische Untersuchungen die Auswirkungen der unterschiedlichen Agrarpolitiken für die Bundesländer bereits systematisch und fundiert analysiert haben, fehlt bislang eine systematische politikwissenschaftliche Untersuchung der Ursachen für diese Unterschiede. Ziel des Projektes ist es, diese Forschungslücke zu schließen und so das sozialwissenschaftliche Verständnis für ein ausgesprochen tief und vielschichtig geregeltes Politikfeld substantiell zu erhöhen.

Zielstellung und Inhalt

Das Projekt beleuchtet die Übersetzung der Herausforderungen des ländlichen Raums in staatliches Handeln. Dabei sollen Faktoren identifiziert werden, die die Sichtweisen und das Verhalten politischer Akteure mit Blick auf die Politik des ländlichen Raums beeinflussen. Untersuchungsgegenstand ist die Agrarpolitik in den deutschen Bundesländern, da der Schwerpunkt der Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum (EPLR) eindeutig auf die Förderung des Agrarsektors ausgerichtet ist.

Die Landwirtschaftspolitik in Europa eignet sich zur Analyse, da sie seit den 1950er Jahren als ausgesprochen stark vergemeinschaftetes Politikfeld galt, mit der Stärkung der sogenannten zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) – der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums – aber eine substantielle Rückübertragung von Kompetenzen an die Nationalstaaten erfolgte. In Deutschland ist diese Entwicklung verbunden mit einer Vergrößerung der landwirtschaftspolitischen Gestaltungsspielräume der Bundesländer, die – in Abstimmung mit Bund und Europäischer Kommission – für ihr Territorium EPLR erstellen und implementieren. Erkennbar ist, dass diese Programme im Bundesländervergleich erstaunlich heterogen sind.

Das Forschungsvorhaben fragt nach den politikwissenschaftlichen Bestimmungsfaktoren der Unterschiede. Dabei sollen verschiedene Theorien der Staatstätigkeitsforschung berücksichtigt werden. Konkret soll etwa eine empirische Überprüfung des Einflusses der Interessenverbände, der institutionellen Konfigurationen auf Landesebene, der Parteien und des Politikerbes vorgenommen werden.

Das Projekt untersucht die Politik des ländlichen Raums in vier Schritten um ein möglichst vollständiges Verständnis dafür zu erreichen, wie Herausforderungen des ländlichen Raums in staatliches Handeln übersetzt werden. Es analysiert (1) die unterschiedlichen Problemlagen der Bundesländer, die sich etwa aus Unterschieden in der Agrargeschichte und der Agrarstruktur ergeben. Es fragt (2) nach den Positionen der Landesparteien im Politikfeld und untersucht den Einfluss der Interessengruppen. Im Anschluss wird (3) die konkrete Gesetzgebungstätigkeit verglichen, bevor (4) die Politikergebnisse systematisch auf ihre Ursachen hin untersucht werden.

Für die Bestimmung der Parteipositionen und den Vergleich der Politikergebnisse nimmt das Forschungsvorhaben die Unterscheidung zweier Paradigmen zum Ausgangspunkt, die in der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Politikfeld vielfach beschrieben und analysiert wurde: das Paradigma des „Produktivismus“ bzw. der „Gerechtigkeit“ und das der „Multifunktionalität“ bzw. „Nachhaltigkeit“.

Im Projekt soll die Verbindung zwischen den Herausforderungen des ländlichen Raums und staatlichem Handeln nachgezeichnet werden. Dabei sollen die bestehenden politikwissenschaftlichen Kenntnisse zum Feld der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums durch systematische Analysen ergänzt werden. Die Rückübertragung der Kompetenzen auf Nationalstaaten bzw. Bundesländer ermöglicht ein vergleichendes Forschungsdesign, welches bisher – zumindest innerhalb Europas – kaum gegeben war. Nun können mittels quantitativer und qualitativer Verfahren der Politikfeldanalyse Akteurskonstellationen und kausale Zusammenhänge in einem Politikfeld aufgedeckt werden, welches durch eine hohe Regelungsdichte und eine ausgesprochen umfangreiche (monetäre) Eingriffstiefe des Staates gekennzeichnet ist. Jenseits des Politikfeldes verspricht das Projekt Erkenntnisgewinne in zwei weiteren aktuellen politikwissenschaftlichen Forschungsbereichen: der Politik im europäischen Mehrebenensystem und dem föderalen System der Bundesrepublik Deutschland.

Projektteam

Prof. Dr. Jochen Müller
Ulrich Hartung

Kontakt

Prof. Dr. Jochen Müller
Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft
Juniorprofessur für Politische Soziologie
jochen.mueller (at) uni-greifswald.de